Bob Hanning: EM ist ein Muster ohne Wert
Bob Hanning ist froh, dass er bei der Corona-EM nicht in der Verantwortung steht. Bildquelle dpa/Bernd Thissen

Der ehemalige DHB-Vizepräsident und Revolutionär des deutschen Handballs über die Entdeckung dieses chaotischen Turniers, Corona und die möglichen Folgen für die Bundesliga.

Bob Hanning (53) ist zwar nicht mehr Vize-Präsident des Deutschen Handball-Bundes, aber immer noch nah dran an der EM und den Nationalspielern. Im Interview mit der Mittelbadischen Presse spricht der Geschäftsführer der Füchse Berlin über das Corona-Chaos von Bratislava und die positiven Erkenntnisse aus diesem Schlamassel.

Nacht acht Jahren im Rampenlicht: Wie schmeckt die Handball-EM vor dem Fernseher?

Es ist immer schön, wenn man Beginn und Ende einer Tätigkeit selbst wählen kann. Beides konnte ich beim DHB. Und ich muss sagen: Aufgrund der Corona-Situation bin ich froh, dass ich bei der EM nicht in der Verantwortung stehe. Weil ich weiß, wie die Argumentation von vielen dann gelaufen wäre.

Eine gemähte Wiese für Ihre Kritiker...?

Ja, dann wäre ich vermutlich an vielem schuld gewesen.

Haben Sie Kontakt zum Mannschaftsquartier?

Regelmäßig. Und weil in der Quarantäne Langeweile herrscht, fallen die Gespräche manchmal auch länger aus.

Wie stehen Sie zu dem Corona-Chaos von Bratislava?

Vor einem Jahr bei der WM in Ägypten habe ich gesagt: Das ist der sicherste Fleck auf der Erde, um sich nicht zu infizieren - und sollte damit auch recht behalten. Dass das aber mit Omikron unter den Bedingungen bei der EM nicht haltbar sein würde, war jedem bewusst, der ein Stück weit geradeaus denken kann. Dass es unsere Mannschaft in dieser Härte getroffen hat, ist bitter, weil die Equipe alles getan hat, damit das nicht passiert.

Nur noch freiwilliges Training, teils mit Maske, ansonsten Isolation auf den Zimmern - welchen Sinn macht das?

Dem DHB blieb keine andere Wahl wegen der Fernsehverträge und möglicher Regressforderungen seitens des Europäischen Handball-Verbandes. Und dann auch noch das Risiko, für die Heim-EM 2024 gesperrt zu werden. Das alles war nicht denkbar. Meine Meinung war: Wenn die Spieler spielen wollen, lasst sie spielen. Wenn nicht, gehen wir in den Dialog und zur Not in die Konfrontation.

Was hat Ihre Füchse-Spieler Drux und Wiede, die auf die EM verzichtet hatten, schließlich bewogen, doch noch nachzureisen?

Beide haben sich verpflichtet gefühlt, in der Situation der Mannschaft zu helfen. Es war für beide überhaupt keine Frage. Nur wenn wir sie von den Füchsen aus nicht gelassen hätten, wären sie nicht geflogen. Was für mich wiederum kein Thema war. Ich finde es gut, dass sie es gemacht haben.

Fürs Spiel um Platz fünf hat es nicht gereicht. Was kann man mitnehmen für die Zukunft?

Es sind nur noch drei Spieler übrig von denen, die in Großwallstadt die Vorbereitung in Angriff genommen haben. Das Turnier ist aus deutscher Sicht ein Muster ohne Wert. Es gibt trotzdem positive Erkenntnisse, wenn ich an Lukas Zerbe denke oder an Julian Köster. Man hat gesehen, dass Mut belohnt wird. Und dass man nur mit Spielern antreten sollte, die von innen heraus brennen. Denn: Nur wer selbst brennt, kann ein Feuer entfachen.

Ist Julian Köster die große Entdeckung?

Ja. Er war in vielerlei Hinsicht wirklich gut, aber auch noch mit Fehlern behaftet, was völlig normal ist. Er musste zu viel spielen, um seinen Standard halten zu können. Aber es hat Spaß gemacht, dem Jungen zuzuschauen.

Alfred Gislason hat seit seinem Amtsantritt nur extreme Corona-Bedingungen. Wie bewerten Sie seine Arbeit?

Ich finde seine Entscheidung, den Umbruch einzuleiten, großartig. Viele Dinge bei ihm sind von der Idee her gut - zum Beispiel das Torwart-Gespann Klimpke/Wolff oder Köster als Zweitliga-Spieler zu nominieren und überhaupt alte Zöpfe abzuschneiden. Ansonsten kann man seine Leistung nicht bewerten. Rein von den Platzierungen her wäre es zu wenig. Aber wenn man alle Hintergründe kennt, ist es wirklich nicht zu bewerten. Auf jeden Fall hat er Freude an diesem Umbruch.

Bei der Heim-EM in zwei Jahren sind Kühn, Häfner, Schiller, Wiencek und Weber über 30 - und damit schon zu alt oder genau die richtigen Routiniers?

In jedem System braucht es eine Balance. Auch da gilt: Perspektivisch arbeiten und gleichzeitig eine gewisse Routine im Kader haben. Man muss die Form der Spieler in zwei Jahren bewerten und die besten spielen lassen.

In Deutschland explodieren die Corona-Fallzahlen. Setzt sich das Chaos jetzt in der Bundesliga fort?

In Berlin haben wir es vor Kurzem am eigenen Leib erlebt. Wir hatten sieben Corona-Kranke und dazu noch vier verletzte Spieler und mussten trotzdem antreten. Ich bin gespannt, wie die Liga reagiert. Uns wurde klar gesagt: Wir müssen alles durchziehen. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Liga auch bei Ausfällen von vielen Spielern komplett durchspielen wird. Notfalls mit Leuten aus den zweiten Mannschaften.